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Kollektivität

in Chinesische Kultur - 中国文化 29.08.2010 13:05
von Admin • Little China Man | 64 Beiträge

Im Denken der chinesischen Gesellschaften genießt von jeher die Gemeinschaft einen größeren Stellenwert als der Einzelne. Symptomatisch kommt sie bereits in der konfuzianisch geprägten Familie, vor allem aber im Dānwèi (單位) zum Ausdruck, kleine, überschaubare Kollektive, die etwa in einer Dorfgemeinschaft, einem Betrieb, einer Hochschule, einer Armee-Einheit oder dergleichen bestehen können.

Traditionell sorgt der Danwei für alle Belange seiner Mitglieder, mischt sich dafür aber häufig in erheblichem Maße in ihre Privatangelegenheiten ein: Zu den Aufgaben des Danweis konnten je nach Zeitperiode u. a. gehören: Zuweisung von Wohnung und Arbeit, Verteilung der Löhne, Prämien und Bezugsscheine, Bereitstellung lokaler Infrastruktur, Heirats-, Scheidungs- und Schulbesuchserlaubnis, Rekrutierung zum Milizdienst, Freizeitgestaltung, politische Schulung, Ausübung der Zensur, Streitschlichtung, niedere Justizaufgaben. Bei aller Kontrolle bietet der Danwei dem Einzelnen aber auch ein gewisses Maß an Demokratie, Partizipation und Mitbestimmung, von denen er im sog. Trans-Danwei-Bereich, also auf nationaler Ebene, ausgeschlossen ist.

Die Mitgliedschaft im Danwei ist grundsätzlich lebenslang, ein Wechsel in einen anderen Danwei normalerweise nicht vorgesehen. Auch erwartet der Danwei von seinen Mitgliedern unbedingte Loyalität sowie Solidarität untereinander. Bezeichnenderweise gelten die konfuzianischen sittlichen Pflichten in vollem Umfang nur im Danwei-, nicht aber im Transdanwei-Bereich – was etwa dazu führen kann, dass man dem Leid und Unglück Danwei-fremder Personen relativ reserviert und gleichgültig gegenübersteht und schon gar nicht helfend eingreift.
Stark ausgeprägt ist das Danwei-Wesen heute noch auf dem Land. In den Städten hat sich indes bereits vor längerer Zeit insofern eine Aufspaltung vollzogen, als das einzelne Individuum sowohl einer Wohn-, als auch einer Arbeitsdanwei mit unterschiedlichen Aufgaben angehört. Nachdem die Bedeutung der Danweis unter dem Maoismus einen historischen Höhepunkt erreicht hatte, ist seit Anfang der 1980er Jahre im Zuge der wirtschaftlichen Reformpolitik insofern ein Rückgang zu verzeichnen.

Das im Danwei-Wesen tief verwurzelte Kollektiv-Denken führt dazu, dass Chinesen bis heute gemeinschaftlichen Aktivitäten den individuellen vorziehen. Arbeit, Leben und Freizeitgestaltung vollziehen sich weitgehend in der Gruppe. Einzelgänger und Individualisten werden traditionell wenig geschätzt. Dementsprechend kommt auch der „Privatheit“ in China geringerer Stellenwert zu als im Westen. Zumindest innerhalb des eigenen Danweis werden etwa unangemeldete Besuche oder aus westlicher Sicht „zudringliche“ Fragen durchaus akzeptiert.


zuletzt bearbeitet 29.08.2010 13:05 | nach oben springen


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