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Diesseitigkeit

in Chinesische Kultur - 中国文化 29.08.2010 13:10
von Admin • Little China Man | 64 Beiträge

Ein weiterer Wesenszug der chinesischen Kultur ist ihre starke Ausrichtung auf das Diesseits. Am stärksten ausgeprägt ist diese im Konfuzianismus: Dort haben Fragen wie Aufbau und Herkunft des Kosmos, das Schicksal der menschlichen Seele oder die gesamte Thematik um Sünde und Erlösung von vornherein nie im Vordergrund gestanden; vielmehr hat sich der Meister vorwiegend mit dem menschlichen Zusammenleben nach den Grundsätzen der Sittlichkeit (禮 Lì) befasst.

Im Allgemeinen richten sich daher die Wünsche der Chinesen auch nicht auf ein „besseres Leben nach dem Tod“, sondern vielmehr auf eine möglichst lange Dauer des Lebens. Der Tod wird von den Konfuzianern als negativ zu bewertender Einschnitt betrachtet, was etwa die mit drei Jahren extrem lange Trauerzeit erklärt. Der traditionell stark ausgeprägte Ahnenkult dient in erster Linie der Abwehr von der Seele des Verstorbenen im Jenseits drohenden Anfechtungen, deren Folgen im Extremfall auf die Hinterbliebenen zurückfallen können.

Angesichts der negativen Bewertung des Todes stellt die Langlebigkeit (壽 shòu) für die Chinesen traditionell ein zentrales Ziel dar; für kaum einen Begriff gibt es in China so viele Symbole (u. a. Kranich, Hirsch, Kiefer, Pfirsich u. v. m.). Die Steigerung davon ist die Unsterblichkeit (不朽 bùxiǔ), die aber insbesondere von den Daoisten angestrebt wurde.

Aber auch für die Zeit des Lebens selbst stehen meist materielle Wünsche im Vordergrund, u. a. etwa Glück (福 Fú), Reichtum (富 Fù), eine einträgliche Stellung (祿 Lù) und Söhne (兒子 Érzi). So wünscht man einander „Zehntausendfaches Glück“ (萬福 Wànfú), schenkt sich Kalligraphien mit dem Zeichen „Langes Leben“, oder betet zum in jedem Dorftempel anzutreffenden „Gott des Reichtums“. Haben sich in der Qing-Zeit noch ganze Romane mit der Erlangung eines Beamtenrangs durch einen jungen Mann befasst, so ist an deren Stelle für die aufstrebende chinesische Jugend von heute der lukrative Job bei einem transnationalen Unternehmen getreten. Auch die traditionelle chinesische Wertschätzung für gutes Essen und demonstrativen Konsum gehören in diesen Zusammenhang.

Deutlicher treten metaphysische Elemente im Daoismus und im chinesischen Buddhismus hervor. Auch hier haben sich aber im Laufe der Zeit stärker dem Diesseits zugewandte volkstümliche Varianten entwickelt: So pflegt man etwa die daoistischen Gottheiten durchaus häufig mit höchst irdischen Wünschen wie dem nach Reichtum oder Kindersegen zu behelligen. Selbst der himmlische Hofstaat rund um den Jadekaiser spiegelt recht detailgetreu die realen Verhältnisse im chinesischen Reich wider. Die in China vorherrschende Variante des Buddhismus, die Mahayana-Schule, sieht - anders als die indische Urform Hinayana - die Möglichkeit einer stellvertretenden Erlösung des Menschen durch Bodhisattvas (insbesondere die vielfach verehrte Guanyin und Buddha Amitabha) vor, wodurch dem Einzelnen ein erheblich geringeres Maß an nur durch Askese und Meditation zu erlangender spiritueller Reife abverlangt und eine stärkere Hinwendung zum irdischen Leben ermöglicht wird. Auch im Chan-Buddhismus sind diesseitige Elemente relativ stark ausgeprägt.

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